Essstörungen haben nicht nur unmittelbare Auswirkungen auf die betroffene Person, sondern stellen oft auch eine Belastung für ihr unmittelbares Umfeld dar. Betroffen sind dabei vor allem die Angehörigen, also die Personen, die eine engere familiäre oder persönliche Bindung zu der erkrankten Person haben. Dies beinhaltet vor allem die Eltern und Lebenspartner:innen der Betroffenen, im weiteren Sinne auch Geschwister und verschwägerte Personen. Auch Großeltern und nahestehende Freund:innen können Belastungen ausgesetzt sein, wenn sie in einem engen Verhältnis zu der betroffenen Person stehen. Die Angehörigen und mit Betroffenen verbundene Lebensbereiche sind meist zusätzlich zu den betroffenen Personen belastet, tragen die Erkrankung mit und leiden ebenfalls unter der Störung und der Auswirkung. Dies kann zu einer erhöhten Belastung auf allen Seiten und damit verbunden auch zu Schwierigkeiten in der Kommunikation und Interaktion führen.

Angehörige von Personen mit Essstörungen weisen meist eine hohe Belastung in verschiedenen Bereichen auf, da sie einen erheblichen Teil des Alltags mit den Betroffenen teilen. Zentral sind dabei besonders folgende Belastungsbereiche: soziale Isolation (Rückzug von Freund:innen und Bekannten, Verlust von Freundschaften, Absagen von Unternehmungen), Schuldgefühle (beispielsweise darüber, nicht genug zu unterstützen), dysfunktionales Verhalten (beispielsweise Wutanfälle, oder Schwierigkeiten in der Kommunikation) und ernährungsbezogene Themen (beispielsweise Streit über und bei Mahlzeiten). Bei Angehörigen treten zudem häufiger Stress und Kummer, Angst- und Depressionssymptome auf – besonders, wenn es vormalig eine eigene Essstörungsdiagnose gab oder die Person die Rolle der zentralen Fürsorgeperson einnimmt.

Angehörige erleben häufig eine intensive emotionale Belastung, zum Beispiel in Form intensiver Gefühle von Angst und Traurigkeit darüber, wie es den Betroffenen ergeht. Häufig kommt es auch zu Gefühlen von Hilflosigkeit und Verzweiflung aufgrund des Eindrucks, scheinbar nicht helfen zu können. Frustration, Wut und Ärger können die Folge sein.

Eine weitere häufige Belastung, in diesem Fall besonders bei Eltern, stellen Schuldgefühle dar, die aufgrund von Befürchtungen darüber, als „schlechte Eltern“ oder „Ursache der Essstörung“ angesehen zu werden, auftreten können. Dies kann dazu führen, dass Angehörige sich aus ihren sozialen Kontakten zurückziehen oder, dass es ihnen schwerfällt, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Bei nicht-erkrankten Geschwistern können Gefühle von Neid und Rivalität aufkommen, wenn sie evtl. weniger Aufmerksamkeit durch ihre Eltern als die Betroffenen erhalten. Bei Partner:innen tritt manchmal das Gefühl auf, zurückgewiesen oder ausgegrenzt zu werden. Manche berichten, körperliche Nähe und Intimität mit den Betroffenen zu vermissen. Teils können nahestehende Personen auch ungewollt eine aufrechterhaltende oder verstärkende Rolle hinsichtlich der Essstörungssymptomatik einnehmen. Dies geschieht mitunter dadurch, dass Betroffene – meist unbewusst – Rückversicherungen von ihrem Umfeld suchen, was Angehörige dazu verleiten kann, beispielsweise zu bestätigen, dass die Betroffenen „dünn genug“ oder „gesund“ sind.

Angehörige können aufgrund der Belastungen im Kontext der Essstörung einer Person in der Familie oder im engeren Personenkreis selbst psychische Probleme entwickeln. Dies erhöht wiederum das Risiko für ungünstige Verhaltensweisen mit den Betroffenen und innerhalb der Familie insgesamt . So können Angehörige kritische Anmerkungen und Kommentare nutzen (beispielsweise negative Bewertungen des Verhaltens der Betroffenen), Feindseligkeit (z.B. Ablehnung) oder emotionales Überengagement (beispielsweise intensive emotionale Reaktionen wie Weinen, Selbstaufopferung oder übertriebene Fürsorge)zeigen. Des Weiteren können auch Schuldgefühle dafür sorgen, dass die Interaktion zwischen Betroffenen und Angehörigen ungünstig beeinflusst wird. Viele Angehörige tendieren aus zunächst sehr nachvollziehbaren Gründen dazu, Betroffene stark zu schonen, Probleme stellvertretend für Betroffene aus dem Weg zu räumen oder ungünstige Wünsche (auch bezüglich des Essverhaltens) zu erfüllen, um eine Art Wiedergutmachung zu leisten.

Andererseits kann die Rolle als Fürsorgeperson von Angehörigen eine große Chance sein, um eine gute Beziehung zu den Betroffenen aufzubauen. Die meisten Angehörigen bemühen sich intensiv und hingebungsvoll, die betroffenen Personen zu unterstützen. Deshalb ist es wichtig, dass Angehörige Zugriff auf Wissen haben, das beschreibt, wie Betroffenen bestmöglich geholfen werden kann, ohne jedoch die eigenen Bedürfnisse als angehörige Person aus den Augen zu verlieren,getreu dem Motto: „Sei ein Vorbild für jene, denen du helfen möchtest“ bzw. „Wenn es dir selbst gut geht, kannst du auch anderen gut helfen“. Hilfreich sein heißt in diesem Sinne nicht, sich selbst-aufgebend aufzuopfern, sondern vorbildhaft die eigenen Grenzen zu wahren und anzuerkennen – d.h. sich selbst gegenüber fürsorglich zu sein – und sich gleichzeitig im Rahmen eben dieser eigenen Grenzen darum zu bemühen, den Betroffenen zu helfen. In diesem schwierigen Abwägungsprozess sind Angehörige nicht allein, sondern können zahlreiche Unterstützungsangebote zu Rate ziehen.